Magnus Zeller

Der folgende Text erschien in: Pirckheimer Gesellschaft (Hg.) (2017): Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie [225. Heft/ 2], S. 25-32 und Stiftung Mitteldeutscher Kulturrat (Hg.) (2018): Kultur Report [Heft 1 2018]

Johanna Ziems Magnus Zeller (1888–1972)

Werk und Familie

Motive, Werkgattungen und Stil

Das Werk Magnus Zellers (1888–1972) ist heute hauptsächlich durch seine frühen, expressionistisch geprägten Ölgemälde und seine späteren, antifaschistischen Arbeiten bekannt. Wenngleich Erstere retrospektiv gesehen ohne Zweifel eine stilistische Hochphase seines Schaffens darstellen und Letztere zu den am häufigsten ausgestellten Arbeiten gehören, gestaltet sich Zellers Gesamtwerk komplexer.

Thematisch sind beispielsweise neben den Darstellungen des Andersartigen, Grotesken und auch Perversen seiner expressiven Phase gleichermaßen religiöse Motive, zahlreiche Landschaften und Portraits zu nennen. Den Zwiespalt zwischen Visionen des Grauens auf der einen Seite und der Sehnsucht nach (religiöser) Transzendenz und Schönheit auf der anderen bemerkte schon Zellers langjähriger Mäzen Karl Vollpracht (1876–1957) als »Kampf zwischen dem Dämonischen und dem Erhabenen (Göttlichen)«[1].

Die Ölgemälde stellen – sicher auch dem Mangel an Material geschuldet – bei weitem nicht Zellers produktivste Werkgattung dar. Besonders auffällig sind die große Anzahl an Aquarellen und der nicht geringe Korpus an Illustrationskunst und Beiträgen zu druckgrafischen Mappenwerken, von denen die Mehrzahl am treffendsten als spätexpressionistisch zu beschreiben sind.

Neben diesen »phantastisch-dämonischen«[2] Werken, die sich durch härtere kantige Formen, überlängte Gliedmaßen und expressiv typisierte Gesichter auszeichnen, bestehen jedoch viele in einem milderen und weicheren Stil, der sich seit den 1930er Jahren herauszubilden begann.

Das Werk Zellers bildet so auch die Einschnitte durch zwei Weltkriege, Hoffnung und immer wieder Enttäuschung durch verschiedene politische Systeme ab. Dabei stehen sich politische Äußerungen – häufig in ironisch-allegorischer Gestalt, versteckte Systemkritik und Karikatur und die bewusste Verweigerung unter Hinwendung zur Idyllendarstellung gegenüber.

Leben und Werk

Magnus Zeller wurde am 9. August 1888 in Biesenrode im Harz geboren. Er stammt aus einer Familie mit einer beeindruckenden Anzahl protestantischer Pfarrer, einschließlich seines Vaters. Hier kann die Basis für Zellers sich wandelnde, aber kontinuierliche Auseinandersetzung mit christlichen Sujets und Symbolen gesehen werden. Beispielsweise beschäftigte ihn das Thema der Kreuzigung schon in seinem frühesten Werk vor dem Ersten Weltkrieg. Seit 1908 war er in Berlin Schüler von Lovis Corinth, dessen stilistischer Einfluss diesen Arbeiten deutlich anzusehen ist. Seine ersten Ausstellungserfahrungen machte er im Kreis der Berliner Secession.

Eine erste maßgebliche Veränderung erfuhr seine Bildwelt durch die Gräuel des Ersten Weltkrieges nach seiner Einberufung 1915, die er in Zeichnungen und Grafiken dokumentierte. Im litauischen Kowno (heute: Kaunas) und später polnischen Białystok entstanden neben Auftragsarbeiten für ansässige Zeitungen[3] antimilitaristische lithografische Flugblätter. Diese wurden von den Mitgliedern eines Intellektuellenzirkels um den Offizier Hans Frentz, darunter Richard Dehmel, Herbert Eulenberg, Karl Schmidt-Rottluff, Hermann Struck und Arnold Zweig, heimlich selbst publiziert. Einen Höhepunkt dieser grafischen Arbeiten stellt das Mappenwerk Entrückung und Aufruhr (1918) dar, in dem Zellers Lithografien und zwölf Gedichte von Arnold Zweig gegenübergestellt sind.

Es folgte eine produktive Illustrationstätigkeit in den 1920er Jahren.[4] Als originalgrafische Höhepunkte können hier zum Beispiel die Radierungen zu Leonid Andrejews Das rote Lachen (1922) und die Lithografien zu E. T. A. Hoffmanns Der Sandmann (1921) und Arthur Hollitschers Ekstatische Geschichten (1923) genannt werden. Sie zeigen zeittypische Sujets in der erwähnten überzeichneten expressionistischen Formensprache Zellers während der Weimarer Republik.

Weitere wichtige Impulse erhielt sein Werk zwischen den Weltkriegen durch verschiedene Auslandsaufenthalte, die vor allem durch Landschafts- und Genreszenen Darstellung fanden. In Estland unterrichtete er 1923 für drei Semester Grafik und Zeichnen. 1926 besuchte er Paris, wo er sich schon während seines Studiums aufgehalten hatte. Auf dieser Reise starb seine junge Frau Marie, geb. Zimmermann, überraschend an Typhus und ließ Zeller gebrochen mit der gemeinsamen Tochter Susanne zurück. In diesem Jahr entstanden mehrere Varianten des Gemäldes Reiter im Gewitter, das 1920 zum ersten Mal in Öl ausgeführt worden war und nun mit gleichem Motiv als Metapher des schicksalsgetroffenen Ehemanns vollständig übermalt wurde. Parallel zeigen Zeichnungen und Versionen des Motivs in Aquarell und als Lithografie die intensive Verarbeitung des familiären Unglücks. Ein ähnliches Verfahren kann beim späteren Bild Nestflüchter (1946) festgestellt werden. Darin wurde die Sorge um die heranwachsende halbwüchsige Tochter Helga als Allegorie des ersten Flugversuchs eines Jungvogels ausgedrückt.

Portraits der Familie und Selbstportraits mit Kindern im Atelier ziehen sich durch das gesamte Werk Zellers. Sie sind Zeugnis des Zuwachses durch die Heirat mit Helga, geb. Bagge, und die gemeinsamen Kinder Helga und Conrad.

Während seines Romaufenthalts in der »Villa Massimo« 1935/36, der ihm durch einen Preis der Berliner Akademie ermöglicht wurde, veränderten sich Formen und Farben seiner Werke zusehends. Er bereiste anschließend Neapel, Ischia und Griechenland. Bilder der ländlichen Bevölkerung in meist helleren und wärmeren Tönen und südliche Landschaften können als Abwendung von der kulturellen und vor allem politischen Entwicklung in Deutschland gesehen werden.

Eine kurze Phase der Hoffnung auf einen Umschwung und Neubeginn in der Heimat endete in Enttäuschung. Zeller verweigerte sich der ideologischen Vereinnahmung durch das nationalsozialistische System und trat nicht, wie verlangt, in die NSDAP ein. Das Haus in Caputh im Potsdamer Umland wurde zu einem idyllischen Ort des Rückzugs und einer Art künstlerischen Exils, während Zeller – 1942 als entartet eingestuft – unter Ausstellungs- und Verkaufsverbot litt. Systemkritische Werke wie das Bild Hitlerstaat (1938), das allerdings durch gezielte Hinzufügungen nach dem Krieg beispielsweise in Form von Hakenkreuzen in seiner Botschaft entschieden verschärft wurde, mussten hinter dem Schrank versteckt werden. Die Angst und das Misstrauen auch gegen Nachbarn schlugen sich auch im sogenannten »Bösen Buch« nieder. Dabei handelt es sich um ein Skizzenbuch, das Zeller auf circa 30 Seiten mit antinazistischen Inhalten unterschiedlicher Deutlichkeit füllte. Daneben lassen sich wieder metaphorische Angstträume und Schreckensvisionen, wie das Teuflische Marionettentheater (1938), aber auch kleinere privat anmutende Zeichnungen finden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Zellers Hoffnungen, die er in den frühen Jahren der DDR in Bezug auf sein künstlerisches Schaffen hatte, schnell relativiert. Die Tendenz zum Ungegenständlichen in der Kunst Westdeutschlands betrachtete er mit ironischem Blick. Zum antifaschistischen Künstler der Arbeiterklasse wollte er ebenso wenig reduziert werden. Eine wichtige Position nimmt das Motiv der Landschaft ein. Allegorische Darstellungen und Sarkasmus blitzen in Werken wie dem Aquarell Greisenspiele (1956) hervor, in dem auf bissig-humorvolle Weise das Altern thematisiert wird.

Der Bau der Mauer erschwerte für ihn nicht nur wichtige familiäre Kontakte, sondern störte das über Jahrzehnte gepflegtes Netzwerk von Unterstützern und beschnitt damit seine Einnahmequellen. Zellers Tochter Susanne aus erster Ehe lebte mit ihren Söhnen in München, seine zweite Frau Helga hatte sich 1948 von ihm getrennt und war mit Sohn Conrad in ihre Heimatstadt Hamburg zurückgekehrt, und seine Brüder Wilfried und Wolfgang sowie Schwester Cornelia hatten sich in Westberlin niedergelassen.

Eine zentrale Rolle in Zellers Schaffen nahm sein langjähriger Vertrauter und Mäzen Karl Vollpracht aus Detmold (Ostwestfalen) ein. Ein umfangreicher Schriftverkehr zeugt von den unzähligen Werken, die Vollpracht für seine eigene Sammlung und für die von Freunden ankaufte und ist Ausdruck von freundschaftlichem und künstlerischem Austausch. Der Verkauf von Kunst über die Grenze hinweg konnte nur auf Umwegen stattfinden. Reise- und Ausstellungspläne scheiterten aus politischen oder auch administrativen Gründen.

Anfang der 1960er Jahre, bis es schwere Krankheit unmöglich machte, leitete Zeller den vom Kulturbund getragenen Caputher Malzirkel, den unter anderen Ina Brock, Manfred Butzmann, Peter Fritz, Ingo Juffart, Wolfgang Liebert, Marlis Puhlemann, Dieter Sibilis und Veronika Türk besuchten. Magnus Zeller verstarb am 25. Februar 1972 in der Berliner Charité.

Anmerkungen zum Werkverzeichnis

Trotz mehrerer Personalausstellungen nach Zellers Tod und einer werkbezogenen Dissertation blieb ein systematischer Überblick über sein Schaffen bis jetzt aus. Während viele frühe Arbeiten von 1912 bis 1930 im Raum Lippe/Detmold in der Heimat von Zellers erster Frau und seinem Mäzen Vollpracht verstreut sind, befinden sich viele spätere in Museen der ehemaligen DDR und seinem Nachlass in Caputh. Sein über Ost und West verstreutes Werk wurde erstmals 2002 in der von der Stiftung Stadtmuseum Berlin veranstalteten Ausstellung Entrückung und Aufruhr zusammengeführt.

Das kürzlich erschienene Werkverzeichnis Magnus Zellers ist für mich nicht nur Kunst-, sondern auch Familiengeschichte. Je länger ich darüber nachdenke, was ich zu Magnus Zeller als Künstler und dem Verzeichnis seiner gesammelten Werke zu sagen habe, desto eigenartiger wird für mich der Spagat zwischen einer neutralen Position als Kunsthistorikerin und dem »Projekt Werkverzeichnis«, das von meiner Großmutter Helga Helm über Dekaden betrieben wurde und an dem ich einen kleinen Anteil haben durfte. Obwohl ich Zeller, der mehr als zehn Jahre vor meiner Geburt verstorben ist, nicht kennengelernt habe, begleiteten mich seine Bilder und die Aura seines teilweise überlieferten Ateliers seit frühester Kindheit und haben sicher dazu beigetragen, dass Kunst für mich eine vertraute Welt bildet, von der ich umgeben sein möchte.

Den Wunsch nach einer annähernd vollständigen Verzeichnung der Arbeiten ihres Vaters hatte meine Großmutter Helga Helm schon lange. Am Anfang stand das Bedürfnis, sich und anderen Interessenten einen Werküberblick zu verschaffen. Die Beschäftigung mit dem Caputher Nachlass ermöglichte ihr nebenher, sich dem Vater anzunähern, der ihr zu Lebzeiten oft fremd gewesen war.[5]

Sie digitalisierte Zellers Briefwechsel mit Vollpracht, arbeitete Zellers handschriftliche Werklisten – die sogenannten Kladden – auf und beschäftigte sich mit den Notizen des Mäzens zu den von ihm erworbenen Stücken. Daraus erwuchs eine beinahe zwanzigjährige Recherchearbeit, die von ihrer Tochter unterstützt wurde. Als Diplom-Restauratorin für Gemälde hat sich meine Mutter, Katrin Ziems, außerdem intensiv mit Zellers Maltechnik im Besonderen zu Zeiten der Materialknappheit beschäftigt, in denen häufig partielle oder ganzflächige Übermalungen vorgenommen wurden. [6] Dadurch kommt ein weiterer Blickwinkel hinzu, den ich aus meiner Perspektive heraus nur durch den Wunsch nach weiterer systematischer und inhaltlicher Aufarbeitung ergänzen möchte.

Die Familie nimmt einen großen Raum in Zellers Werk ein, der sich in diesem drei Generationen umfassenden Projekt widerspiegelt. Dennoch soll dieses Verzeichnis über einen rein familiären Blick hinausgehen und Zellers Schaffen endlich zusammenführen und somit zugänglicher machen.

Es konnten viele Leerstellen des Werkes geschlossen werden, während Raum für Anknüpfungspunkte, Untersuchungen und Ergänzungen bestehen bleibt.

Magnus Zeller. 1888–1982. Werkverzeichnis. Hrsg. v. Helga Helm. Mit Beiträgen von Dominik Bartmann und Katrin A. Ziems. Mit über 1500, teils farb. Abb. Caputh: Selbstverlag, 2016. 524 S. 30 x 21 cm. br. Bestellung unter: werkverzeichnis@magnus-zeller.de.

Anmerkungen

[1] Brief Karl Vollprachts an Magnus Zeller, Detmold, 26. 4. 1950, zitiert nach Andreas Teltow: »Dann werde ich Ihnen zum Trost Ihr Bildchen malen«. Karl Vollpracht – Zellers Vertrauter, Mäzen und Sammler seiner Werke. In: Dominik Bartmann (Hrsg.): Magnus Zeller. Entrückung und Aufruhr. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Stadtmuseum Berlin, Ephraim-Palais. Berlin: Stiftung Stadtmuseum, 2002, S. 90.

[2] Lothar Lang: Expressionismus und Buchkunst in Deutschland 1907–1927. 2., verb. und erg. Aufl. Leipzig: Edition Leipzig, 1993, S. 27/28.

[3] Viele dieser Arbeiten wurden nach Kriegsende textbegleitend in Sammy Gronemanns Hawdoloh und Zapfenstreich. Erinnerungen an die Ostjüdische Etappe 1916-1918 (1924) erneut veröffentlicht.

[4] Siehe auch Michael Nungesser: Von der spirituellen Ekstase zur gemütlichen Schicksalsergebenheit. Zellers Illustrationen für Bücher. In: Bartmann: Magnus Zeller. Entrückung und Aufruhr, S. 96–110.

[5] Helga Helm (2016): Persönliches Vorwort, in: Helga Helm: Magnus Zeller (1888-1972). Werkverzeichnis. Caputh 2016, S. 8–13.

[6] Katrin A. Ziems: Bemerkungen zu den Gemäldeübermalungen Magnus Zellers. In: Helm: Magnus Zeller (1888-1972). Werkverzeichnis, S. 500–508.

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